Je älter ich werde, desto interessanter finde ich das Konzept »Soziale Beziehungen«. Wer steht wo in meinem Leben? Wen hätte ich gern woanders? Denn Freundschaften und andere Verhältnisse sind keine Selbstverständlichkeit mehr.
Neulich habe ich mit meiner Tochter darüber gesprochen, wer ihre beste Freundin ist. Es fiel ihr schwer, die Frage zu beantworten. Im Leben eines jungen Menschen sind die sozialen Beziehungen in ständiger Bewegung. Sie einigte sich mit sich selbst darauf, dass sie mehrere Menschen in ihrem Leben hat, die »beste Freundin« sind.
Interessanterweise sprechen wir dabei gar nicht unbedingt von einer Gruppe. Es sind tatsächlich mehrere Kinder, die ihr besonders am Herzen liegen. Ich mag das – und gerade mit Blick auf die Veränderungen in ihrem Leben (bald geht's in die Schule!) ist es gut, dass sie so viele Menschen hat und das sich das Freundinnen-Sein so einfach ergibt.
Bei mir selbst ist das anders. Beziehungen ergeben sich nicht mehr einfach so, ich pflege sie aktiv. Und nicht jede Freundschaft ist so, wie ich sie gern hätte. Einige Menschen hätte ich lieber räumlich bei mir. Bei anderen frage ich mich, ob wir einander kennen würden, wenn das Leben uns nicht verknüpft hätte.
Und manche Menschen sitzen im beruflichen Netzwerk, obwohl ich sie viel Lieber in der Kategorie »Bücher und Käsecracker« hätte. Und obwohl wir es beide wollen, ist es schwer, die Nähe herzustellen, weil das Leben es eben nicht immer so zulässt, wie wir es gern hätten.
Und wieder andere Menschen würde ich gern in ein anderes Land schicken, damit sie anderen auf die Nerven gehen können.
Zum Glück gibt es einige sehr wertvolle Tools, mit denen wir uns unsere Netzwerke bewusster machen können. In der professionellen Arbeit werden sie eingesetzt, wenn sie Menschen nicht mehr weiter wissen, wenn sie sich alleingelassen fühlen oder wenn festgestellt werden muss, wer wem guttut. Aber warum sollten wir erst an unseren Beziehungen arbeiten, wenn etwas im Argen liegt?
Im September-Workbook geht es darum, einen bewussteren Blick für die Menschen in unserem (Arbeits-)Leben zu entwickeln. Und einige vielleicht ganz neu zu platzieren.
Isabell
Ich stehe hier
Und da steht ihr
Wirklich vielen Menschen ist es unangenehm, sich als Zentrum ihres eigenen Lebens zu begreifen. »Egozentrisch« gilt als Schimpfwort. Dabei meint der Begriff doch eigentlich etwas Grundmenschliches: Wir selbst stehen im Fokus unserer Wahrnehmung. Über alle anderen können wir nur Vermutungen anstellen. Diese Vermutungen nennen wir Empathie. Und Empathie ist bedeutsam. Aber sie ersetzt niemals die grundsätzliche Erkenntnis, dass ich über niemanden so viel weiß, wie über mich selbst.
Egozentrik ist also unserer natürlicher menschlicher Daseinszustand. Ich sehe eine neun, du siehst eine sechs. Du riechst kalte Pizza, ich sehe Frühstück. Du hörst Autos, ich spüre Stress. Du siehst mich gestresst, ich erlebe die ganze Geschichte dahinter.
Von dieser Erkenntnis ausgehend können wir uns selbst dort platzieren, wo wir hingehören: in die Mitte eines Sozialgefüges. Visualisiert wird das manchmal mit Kreisen: Du stehst in der Mitte, die anderen auf Ringen um dich herum. Wer dir näher steht, der steht weiter innen, andere Menschen stehen weiter außen.
Auch der Berg ist gängig, um die eigenen Beziehungen zu verdeutlichen. Sein Vorteil ist, dass er mehr Details zulässt: Vielleicht ist eine Flanke eher steil, eine schwingt sich sanft hinab. Vielleicht gibt es einen Nebenberg, der wichtig ist, weil ganz oben jemand steht, der andere Menschen in dein Leben bringt, die sonst gar nicht da wären (ein Kind, eine Kollegin, eine Freundin). Auch hier zeichnest du dich selbst ganz oben ein und platzierst die anderen da, wo du vermutest, dass sie stehen.