»Sie muss lernen, sich zu konzentrieren«, diesen Satz höre ich momentan auffallend oft von Eltern, deren Kinder bald eingeschult werden. Das ist ein bisschen seltsam, denn viele Kinder beherrschen Konzentration eigentlich ganz gut. Natürlich nicht über lange Zeiten und auch nicht immer in die passenden Blöcke gefügt. Aber grundsätzlich?
Das Kind, das ganz versunken im Sandkasten sitzt und baut? Das Kind, das seine Schleichpferde anderthalb Stunden lang arrangiert, versorgt und Abenteuer erleben lässt? Das Kind, das noch Tage später aus einer »Wilde Tierwelt«-Folge zitiert? All diese Kinder haben sich konzentriert. Weit mehr noch, als die Pop-Neurowissenschaft behauptet, bei der ja alle irgendwie Steinzeitmenschen sind und Konzentration geht nicht, weil ist nicht.
Doch diese Interpretationen gehen an einer fundamentalen Wahrheit vorbei:
Natürlich sind wir Menschen in der Lage, uns zu konzentrieren. Sogar die Kinder, wenn sie wissen, was sie wollen und warum sie es wollen.
Als Erwachsene machen wir uns das aber sehr schwer. Und doch ist Konzentration wichtig. Sie ist bedeutsam für das Glück, sie wirkt gegen Stress. Sie verhindert Fehler, sie hilft uns, gute, konsistente Ergebnisse zu erzielen. Konzentration hat viel mit Wohlbefinden zu tun und damit verknüpft auch mit der Frage, wie wir eigentlich leben und arbeiten wollen. Zuletzt wurde in Karriere-Medien öfter die Frage gestellt, wie man 8 Stunden Arbeit in einen 6-Stunden-Tag packt. Nun: mit Konzentration.
In diesen heißen Tagen, unterbrochen von Tropennächten, fällt mir das auch nicht leicht. Aber es muss auch nicht unser Anspruch sein, wie Erstklässler*innen perfekte Zeitblöcke zu füllen. Unser Anspruch ist unser Anspruch. In dieser Feierabend-Ausgabe geht es darum erst einmal darum, eine Grundlage zu schaffen. Wozu die Konzentration? Der eigene Anspruch ist es, der es bedeutend erleichtern wird, tatsächlich fokussiert zu arbeiten. Ablenkungen zu minimieren ist dann viel leichter, weil die Ablenkungen zwischen dir und einem gewählten Ziel stehen. Und ja: Das Ziel darf es auch sein, endlich Feierabend zu haben. Vielleicht ist das sogar das unterschätzteste Produktivitätstool überhaupt: der intensive Wunsch, einfach mal fertig zu werden.
Isabell
Konzentration?
Und wozu das Ganze?
Das Telefon weglegen, die Mails mal ein paar Stunden lang ignorieren, nicht ständig etwas essen, nicht jedem Gedanken durchs Internet nachjagen... Wir wissen alle, wie es geht. Dass es nicht immer gelingt, ist also keine Frage weiterer Tipps. Die Frage ist vielmehr: Warum gelingt es so vielen Menschen im Alltag nicht, ihr Wissen anzuwenden. Doch die Grundlage der Konzentration ist nichts, das du in einem Internet-Listicle findest. Die Grundlage der Konzentration liegt in dir. Sie liegt in der Antwort auf die Fragen:
Was willst du denn eigentlich machen?
Und bis wann?
Und warum?
Diese Antworten sind also immer wieder eine neue. Meine sahen gestern so aus:
Ich will einen sehr guten Schlaf-Artikel für Spektrum der Wissenschaft schreiben. Er soll mit Fakten untermauert sein und dabei unterhaltsam geschrieben.
Bis 10.30 Uhr soll der Entwurf fertig sein.
Um 10.30 Uhr muss ich los für einen Termin. Wenn ich mich am Nachmittag noch einmal an die Inhalte setzen muss, dauert der Prozess insgesamt bedeutend länger, vielleicht entstehen Fehler, vielleicht leidet die Qualität. Ein fertiger Entwurf bedeutet dagegen, dass ich mit frischem Blick den Stil überarbeiten kann.
Mit einer solchen Basis fallen all die Konzentrationstipps bedeutend leichter. Sie werden zu einer sich selbst bestimmenden Notwendigkeit. In dieser Notwendigkeit kann Leichtigkeit liegen: Ich kriege das hin. Ich habe ein Ziel und für dieses Ziel kann ich mich konzentrieren. Alles andere: kann warten. Das ist dann kein Druck mehr, nicht einmal der etwas überzitierte Flow ist notwendig. Konzentration ist eine Arbeitsweise. Die Absage an Ablenkungen ist keine große Sache, sie ist nur ein Verhalten, für das du dich entschieden hast, um dein (gern kleines) Ziel zu erreichen.
Nicht immer sind Ziele derart offensichtlich. An einem langen Tag gefolgt von einem leeren Abend brauchen wir eigentlich keine. Und trotzdem können sie wertvoll sein. Freizeit ist ein legitimes Lebensziel. Seine Arbeit fokussiert zu erledigen gleichermaßen, denn wie gesagt: Die Ergebnisse werden besser. Auch das darf ein darunterliegendes Ziel sein:
Ich will ein gutes, konsistentes Whitepaper schreiben.
Damit der Prozess nicht zerfasert, hätte ich gern bis 12 Uhr einen Entwurf. Und damit ich dabei konzentriert bleibe, mache ich nach jeder Seite eine Pause in Bewegung.
12 Uhr ist eine willkürlich gewählte Zahl, wobei vier Stunden Arbeitszeit für eine Entwurfsfassung angemessen sind. Diese Zeit stresst mich nicht, sie verlangt aber von mir, dass ich in dieser Zeit wirklich nichts anderes mache und mich in den Pausen aktiv erhole.
Die Basis für einen ablenkungsfreien Vormittag liegt also nicht darin, alle Tipps zu beherzigen. Die Basis liegt in der Planung. Sie befreit mich natürlich nicht von externen Ablenkungen. Aber sie hilft mir, mich um mich selbst zu kümmern. Mit einem so fordernden Plan könnte mein Telefon neben mir liegen, ich würde es ignorieren. Und das ist ein guter Anfang.